Sicherheit statt Freiheit

„Ihr gehört doch bestimmt auch zu denen, die uns ausspionieren“ ein Satz, der mich seit unserem Firmentreffen Anfang Juli 2013 in Bremen im Café Sand nicht mehr losgelassen hat. Wie hypnotisiert muss ich minutenlang auf die Weser unweit des Fußballstadions von Werder Bremen gestarrt haben.

Sicherheit statt Freiheit

Als Geschäftsführer des Unternehmens AMPEG, der inzwischen so viele Jahre auf dem Buckel hat, dass er als Jugendlicher mit den Terroranschlägen der RAF konfrontiert wurde und mit Reisen in die ehemalige DDR groß geworden ist, will ich zu dieser Frage persönlich Stellung beziehen.

In einem kleinen Ort in der Nähe von Merseburg, im Haus meiner ostdeutschen Verwandten, wurden zu meiner Jugendzeit Gespräche abgebrochen, in dem der Zeigefinger zur Zimmerdecke gerichtet und die Worte „na Ihr wisst schon was ich meine“ ausgesprochen wurden. Selbst in den eigenen vier Wänden war die Angst zu groß, um sich kritisch zu äußern. Ich kann mich nur an eine Autobahnfahrt mit dem Trabi erinnern, bei der frei und offen die Missstände in der ehemaligen DDR auf die Schippe genommen wurden. Die Fahrt ging übrigens zu einem Intershop, wo DDR-Bürger u.a. mit der westdeutschen Mark (nicht mit der DDR Mark) einige der begehrten Produkte aus dem Westen einkaufen konnten. Für meine Verwandten ein unerreichbarer Luxus. Laut den Erinnerungen meiner Mutter wurde allein unsere Anwesenheit als Westdeutsche schon als Risiko bewertet - der gute Arbeitsplatz bei den Buna-Werken könnte auf dem Spiel stehen.

In der gleichen Zeit konnten ich und meine Freunde ohne Einschränkungen über die RAF und Hausbesetzungen diskutieren. Was für eine Freiheit sich darüber offen eine Meinung bilden zu können, ohne dass am nächsten Tag die Polizei vor der Tür steht. Unsere damals noch sehr junge Demokratie blieb standhaft und die Regierungen holten trotzdem nicht die allumfassende Überwachungskeule raus. Unser Grundgesetz und die darauf basierende Meinungs- und Pressefreiheit machen es möglich. Querdenken war eine sportliche Herausforderung, der wir uns in langen Diskussionen gerne gestellt haben und ich bin nicht der einzige Geschäftsführer, der aus dieser Runde hervorgekommen ist.

Querdenken, wie es auf den u.a. von Audi und BMW unterstützten Querdenker-Kongressen gefördert wird, hat auch etwas mit kritischen Hinterfragen seiner Arbeits- und/oder gesellschaftlichen Umgebung zu tun, um Verbesserungspotentiale oder unhaltbare Zustände offen zu legen, auch wenn sie ein Überdenken jahrelang funktionierender Arbeitsweisen bedeutet. Die Obama Administration hat dies übrigens auf Ihrer Webseite von seinen Bürgern und Mitarbeitern eingefordert. Diese Stellungnahme wurde allerdings kurz nach den ersten Veröffentlichungen über das Ausspähen unserer EMails und Telefonate gelöscht.

Vor kurzem musste ich erfahren, dass ein bis dahin völlig unauffälliger junger Mann Besuch von der deutschen Polizei bekam, weil er in Facebook den Spaziergang zu einer US-Einrichtung wie einen naturkundlichen Beobachtungsgang anpries: „Vor Ort können wir dann gemeinsam den bedrohten Lebensraum der NSA-Spione erforschen und uns über ihre Tages- und Nachtbeschäftigungen austauschen“. Ein Überwachungsautomat hat ihn ausgespäht, denn kein deutscher Polizist hätte wohl auf diesen Blödsinn reagiert. Ich stelle mir vor, dass jemand vom Ende der sechziger bis Anfang der siebziger Jahre alle Gespräche unseres ehemaligen Außenministers Joschka Fischer mitgeschnitten hätte, dann würde er jetzt wahrscheinlich in Guantanamo sitzen und nie wieder entlassen werden.

Die vielen Berichte über junge Menschen und Journalisten, die unschuldig ausgespäht oder eingeschüchtert wurden, bereiten mir sehr großes Unbehagen. Ein Unbehagen, wie es mir als Junge widerfahren ist, als die DDR-Grenzbeamten auf dem Weg nach Leipzig alle meine heiß geliebten Micky Mouse Taschenbücher beschlagnahmt haben, weil diese unerwünschtes Gedankengut verbreiten würden.

Freiheit ist ohne Risikobereitschaft nicht machbar

Um unsere Zukunft auf einer sicheren Basis zu gestalten, benötigen wir selbstverständlich eine gezielte, auch geheimdienstliche Absicherung unserer Gesellschaft, unseres privaten Umfeldes sowie der privaten und öffentlichen Unternehmen. Wer die Schraube überdreht, dabei u.a. geistiges Eigentum sowie die Meinungs- und Pressefreiheit (Artikel 5) missachtet, gefährdet Freiheit, Innovation und gesellschaftlichen Fortschritt. Gerade wir Deutsche haben in der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts mit zwei Überwachungsdiktaturen diese bittere Erfahrung gemacht.


Bremen, 24.09.2013

Peter Graf